REINHARD AMMER
DI 14.6. | 21.30 UHR | EINTRITT FREI
„Elfenfeld“ – Wenn elf Elfen elf Pferdemetzger treffen
Vokalakrobatik vom Feinsten gibt es, wenn Reinhard Ammer in seinem E-Werk „Elfenfeld“ elf erzfesche, sexversessene Elfen beschreibt. Die Bewohner des niederösterreichischen Städtchens Melk, in und neben dem die Heldenlegende spielt, sind alle unterwürfig und korrupt, bis auf einen, den Schelm Wenzel, den Besten der Besten! Wenzel bittet die Elfen um Beistand gegen die Pferdemetzger, und diese haben einen Plan …
Eine Lesung der besonderen Art mit Wörtern, in denen nur ein einziger Vokal vorkommt.
Veranstaltungsort: Festival „Literatur im Stianghaus“, Zenettistraße 2, München
Vita
Vokalakrobat – Sprachkunstwerker – Geschichtenerzähler. Reinhard Ammer ist Meister des „Monovokalismus“. Freiwillig beschränkt er sich in seinen abgedrehten Geschichten auf nur einen Selbstlaut. „Jonglieren mit einem Vokal ist wie Klatschen mit einer Hand“, nach diesem Motto zieht er seine Zuhörer in den Bann. Sein tägliches Brot verdient sich Reinhard Ammer neben der Vokalakrobatik als Lehrer für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache.
Eine Frage an den Autor Reinhard Ammer: Neben Ihren poetisch-spielerischen Texten, wie „Elfenfeld“, bewegen Sie auch sehr politische Themen. Können Sie kurz zu „Heimat Fragezeichen – eine Flugschrift“ etwas sagen? Was ist so fragwürdig an der „Heimat“? Vielleicht können Sie mir in zwei, drei Sätzen Ihre Beweggründe zu dieser Schrift schildern, bevor ich dann zur „Flugschrift“ greife.
Drei Sätze? Also gut:
Erster Satz: Der unmittelbare Anlass für meine Flugschrift „Heimat Fragezeichen“ war die Ende 2015 vor dem Hintergrund der vielen in Europa gestrandeten Flüchtlinge an Menschen mit und ohne Fluchthintergrund ergangene Einladung der „Volkshochschule – Stadtteilzentrum Hasenbergl-Nordhaide“ und der Initiative „Mehr Platz zum Leben – Kunstforum Hans-Mielich-Platz“, ihre Gedanken zu den Themen „Flucht und Asyl“ sowie „Heimat“ aufzuschreiben und auf einer Ausstellung zu präsentieren.
Zweiter Satz: Ich habe aus dem genannten Anlass die Flugschrift „Heimat Fragezeichen“ verfasst, weil ich schon seit langem dafür plädiere, die Ursachen für Krieg und Terror, materielles und geistig-emotionales Elend, Hunger und Armut, Fluchtbewegungen und Umweltzerstörung schonungslos beim Namen zu nennen, als da wären Nationen, Staaten, die kapitalistische Geldvermehrung als weltweit durchgesetzter Zweck alles Produzierens, Politik in jeder Form und Religionen, und weil ich es gut fände, wenn Menschen auf der ganzen Welt unter Abstreifung aller mit diesen ollen Kamellen verbundenen Heimatgefühle in einer weltweiten Aufbruchs- und Absetzbewegung – Evasion! – die genannten Macht- und Gewaltsubjekte ideell und praktisch aufheben und beseitigen würden.
Dritter Satz: Meine Flugschrift „Heimat Fragezeichen“ befasst sich zwar mit, wie Sie es nennen, „sehr politischen Themen“, sie selbst ist aber in keiner Weise politisch, weil Politik jeglicher Couleur die Ausübung von Herrschaft ist und die Anwendung von Gewalt impliziert, womit ich nichts zu tun haben will und weswegen ich auch alle linken und revolutionären Politprojekte ablehne.
Lieber Reinhard Ammer, ich werde mir die „Flugschrift“ besorgen.
Im Rahmen der Lesung am 14. Juni könnte dieser Text auch eine interessante Überleitung zu den letzten beiden Tagen bieten. Hier widmen wir uns ja dem Buch „Hoffnung im Gepäck“, das einige Fluchtgeschichten von in München gestrandeten Menschen aufgreift. Eine Idee … Sie entscheiden natürlich, ob sich das nach der Vokalakrobatik mit „Elfenfeld“ noch anbietet.
Zu Ihrer Bemerkung „Heimat Fragezeichen sei in „in keiner Weise politisch“ möchte ich noch etwas sagen: Frei nach Hannah Arendt plädiere ich für folgenden Politikbegriff: Dort, wo Menschen zusammenkommen und miteinander sprechen, entsteht schon das Politische.
So betrachtet, sind Sie als Autor natürlich hochpolitisch, da Sie ja bewusst mit der sogenannten Öffentlichkeit Kontakt aufnehmen. Letztlich wäre zu vermuten, dass Sie mit Ihren Texten und Auftreten sogar Wirkung erzeugen möchten;)
Persönlich finde ich Ihre Abgrenzung von linksextremistischen Thesen, ihre Kritik am aktuellen Staaten- und Wirtschaftssystem sowie Ihr libertäres Plädoyer durchaus sympathisch. Mit „Evasion“ muss ich mich noch beschäftigen.
Lieber Nikolaus Schön,
es gibt ja Spaßvögel, die behaupten, dass Worte reine, durch nichts begründete Konvention und deswegen im Hinblick auf das von ihnen Bezeichnete beliebig austauschbar wären, weswegen man, um ein simples Beispiel aus dem Alltag zu wählen, ohne Weiteres sagen könne, dass auf einem Messer ein Tisch liege, wenn man zum Ausdruck bringen wolle, dass sich ein Schneidewerkzeug auf einer auf vier Beinen ruhenden Platte befinde. In diesem und nur in diesem Sinne goutiere ich Ihre Aussage, dass dort, wo Menschen zusammenkämen und miteinander sprächen, schon das Politische entstünde, und dass ich selbst, der ich in meiner Flugschrift „Heimat Fragezeichen“ alles Politische als unabdingbar mit Herrschaft und Gewaltausübung Verbundenes ablehne, selbst politisch, nein, sogar hochpolitisch wäre, da ich mit der sogenannten Öffentlichkeit Kontakt aufnähme. Mit dieser Humorbrille auf der Nase könnten wir zwei beide uns dann hin und wieder den augenzwinkernden Spaß erlauben, mitten im angenehmen Gespräch mit Freunden oder Kollegen hackenschlagend aufzustehen und fröhlich krähend hinaus- und herumzuposaunen, was das denn heute wieder für ein tolles hochpolitisches Beisammensein wäre!
Das Ärgerliche wäre nur, dass wir uns mit unserer vorgeblich politischen Zusammenkommerei und Miteinandersprecherei in ganz übler Gesellschaft befänden, nämlich in einem Topf mit Präsidenten, Ministern, Kanzlern, Staatssekretären e tutti quanti, die „das Politische“ als Beruf betreiben, und dass in diesem Topf gleichzeitig Dispute geführt würden über Fragen wie, ob man für einen Kartoffelsalat lieber festkochende oder vorwiegend festkochende Erdäpfel verwenden solle, und über Fragen wie, durch welchen Kuhhandel und welche Erpressungsmanöver man den türkischen Präsidenten dazu bringen könne, den Zug von Flüchtlingen nach Europa zu unterbinden. Dieser olla podrida politischen Einerleis könnte man nur dadurch entkommen, dass man unter Fortsetzung des Wörtchen-wechsel-dich-Spiels kurzerhand alle Figuren, die sich an den Schalthebeln der Macht befinden, zu liebenswerten Klatschbasen umtituliert und die von ihnen verhandelten und ausgekämpften Konflikte als harmlosen Tratsch und Causerie abtut. Heißa, was das für eine Gaudi wäre! Fasching, Karneval und Tralala!
Ein Umstand aber lässt mich nun doch vermuten, dass Sie Ihre oben erwähnte These nicht als homo ludens geäußert haben, sondern ganz ernsthaft als homo politicus, da Sie eine Kronzeugin für Ihren Politikbegriff aufgerufen haben, die nun wahrlich nicht durch einen ausgeprägten Spieltrieb berühmt geworden ist: Hannah Arendt!
Ich will nicht abstreiten, dass Sie sich, lieber Nikolaus Schön, mit Ihrem „Frei-nach“-Politikverständnis zurecht auf Hannah Arendt berufen dürfen.
Bei ihrer Suche nach einer Antwort auf die Frage, was Politik sei, war diese Denkerin natürlich mit dem Umstand konfrontiert, dass politische Gewalt einen Grundzug der Menschheitsgeschichte darstellt. Besonders angesichts der „totalitären Staatsformen“ des 20. Jahrhunderts und den in der Atombombe kulminierenden Gewaltmitteln, die in diesem Säkulum entwickelt wurden, fragt sie sich, fast verzweifelnd, „ob Politik und Freiheit überhaupt miteinander vereinbar sind, ob Freiheit überhaupt erst da anfängt, wo Politik aufhört …“ (Hannah Arendt: Was ist Politik?, München 2015, 5. Aufl, S. 29) Leider entscheidet sie sich dafür, diese Frage mit einem eindeutigen Nein zu beantworten. Um aber einen positiven Politikbegriff formulieren und die Berechtigung von Politik überhaupt retten zu können, da sie eine Welt ohne Politik als „grauenhaft“ (S. 79) empfindet, muss sie „totale“ Gewalt und „totale“ Gewaltmittel von den sie ausübenden und herstellenden politischen Subjekten abtrennen und ihnen tendenziell ein Eigenleben zusprechen. Sie spricht vom „Phänomen des Übermächtig-Werdens der Gewalt auf Kosten aller anderen politischen Faktoren“ (S. 73) und meint am Beispiel des Ersten Weltkriegs, „dass diese neue unheilvolle Rolle einer automatisch sich entfaltenden und dauernd steigernden Gewalt alle Beteiligten, die Völker wie die Staatsmänner wie die öffentliche Meinung, ganz und gar unvorbereitet und überraschend traf.“ (S. 74), weswegen bei all diesen handelnden Subjekten gar nicht mehr von Politik im eigentlichen Sinne gesprochen werden könne und „die Sinnlosigkeit, in die die Politik im ganzen geraten ist …“ (S. 31), beklagt werden müsse.
Was Hannah Arendt dementgegen gutheißen kann, ist eine Politik, die „auf der Tatsache der Pluralität der Menschen“ (S. 9) beruht und „von dem Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen“ (ebenda) handelt. Ihr zentrales Postulat lautet: „Der Sinn von Politik ist Freiheit.“ (S. 28) Solch wahre Politik und solch wahres Politikverständnis, das dem von Ihnen, lieber Nikolaus Schön, präsentierten Politikbegriff wie ein Ei dem andern geähnelt hätte, glänzt jedoch laut Ahrendts Ausführungen fast die gesamte Geschichte der Menschheit hindurch durch schnöde Abwesenheit,.
Aber dann wird Hannah Arendt doch noch fündig, und zwar dort, woher das Wort „Politik“ stammt. In der antiken griechischen Polis, besonders in Athen, habe sich einer der wenigen großen „Glücksfälle der Geschichte“ (S. 41) ereignet. „Der Sinn des Politischen hier …“, schreibt sie, „ist, dass Menschen in Freiheit, jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft, miteinander verkehren, Gleiche mit Gleichen, die nur in Not-, nämlich Kriegszeiten einander befahlen und gehorchten, sonst aber alle Angelegenheiten durch das Miteinander-Reden und das gegenseitige Sich-Überzeugen regelten.“ (S. 39)
Dieses „jenseits von Gewalt, Zwang und Herrschaft“ darf man durchaus wörtlich nehmen, denn auch Hannah Arendt ist nicht entgangen, dass es das alles auch in Athen gegeben hat, nur eben nicht für die etwa 30 000 freien Bürger, die sich grosso modo tatsächlich als Gleiche unter Gleichen – ob als Armer oder Reicher, ob als Bauer oder Handwerker oder Adliger, spielte keine Rolle – auf dem Marktplatz, der Agora, in freier Rede und Gegenrede zu den Belangen der Polis äußern konnten. Damit sie dieser höchstgeschätzten aller athenischen Daseinsäußerungen aber nachkommen konnten, mussten sie im wahrsten Sinne des Wortes frei sein, frei von allen häuslichen Verpflichtungen und frei von aller Arbeit, die der unmittelbaren Lebenssicherung diente, kurz gesagt: frei vom Banausentum. Wie konnte diese Freistellung erreicht werden? Hannah Arendt weiß es sehr wohl: „Das entscheidende Mittel war die Sklavenwirtschaft, die Gewalt, mit der man andere zwang, einem die Sorge um das tägliche Leben abzunehmen. … Diese Befreiung erfolgte durch Zwang und Gewalt, und sie beruhte auf der absoluten Herrschaft, die jeder Hausherr in seinem Haushalt ausübte.“ (S. 38f.)
Halten wir also fest, lieber Nikolaus Schön, dass es in Athen auf der einen Seite Gewalt, Zwang und Herrschaft für 2-300000 unfreie, schuftende, maulhaltende Menschen, darunter auch so gut wie alle Frauen, gab, und auf der anderen Seite die Große Freiheit für schlappe Happy Dreißigtausend, in aller Öffentlichkeit und unbeschwert von den Mühen des Alltags eine kesse Lippe riskieren oder gleich die Klappe aufreißen und damit auch noch Ruhm und Ehre einheimsen zu können. Schade, dass wir Hannah Arendt nicht mehr fragen können, wie um des Großen Fliegenden Spaghettimonsters willen sie diesem politischen, diesem wahrhaft volksherrschaftlichen Polis-Treiben so viel abgewinnen konnte! Wahrscheinlich dachte sie, dass sie furchtbar kritisch wäre, wenn sie allen über schrankenlose Gewaltmittel verfügenden und diese auch einsetzenden „totalitären“ Mächten, deren Tun gemeinhin immer noch unter „Politik“ firmierte, ebendieses Etikett abspräche, um es sich aufzusparen für „sanfte“ Machtgebilde mit demokratischen Strukturen wie die athenische Polis. Wir werden aber noch sehen, zu welchen ganz und gar demokratisch angeordneten Gewaltorgien Athen in der Lage war.
Gut, man könnte sagen, dass vor 2500 Jahren erfreulicherweise immerhin 30000 Männer in den Genuss gekommen seien, sich ungezwungen und frei unter ihresgleichen umherwandelnd über dies und das austauschen zu können. Das wäre nun mal besser als nichts, und schließlich redeten ja auch in unseren Zeiten die Zeugen Jehovas davon, dass einst nur 144000 Seelen in den Himmel kommen würden. Doch, lieber Nikolaus Schön, man sollte sich dieses „dies und das“, über das man bei Hannah Arendt herzlich wenig erfährt, schon etwas genauer ansehen!
Der Althistoriker Christian Meier führt in seiner Untersuchung über „Die Entstehung des Politischen bei den Griechen“ (stw 427, Frankfurt / Main 1989, 2. Aufl.) aus, dass für die freien Bürger des antiken Athen die Basics ihrer Polis nicht zur Disposition standen, ebenso wenig wie übrigens die Staatsbürger der modernen Superdemokratien auf den allvierjährlichen Wahlzetteln darüber abstimmen können, ob sie auch weiterhin in der kapitalistischen Produktionsweise ihr Leben hinbringen wollen oder lieber nicht: „Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, Bildungsverhältnisse und Religion waren vorgegeben und konnten nicht Gegenstand von Entscheidungen … sein.“ (S. 268) Es ging bei den Diskussionen auf dem Marktplatz und bei den Volksversammlungen immer um aktuelle Entwicklungen und Handlungsalternativen, die sich „in einem Gegensatz zu Persien, später auch zu Sparta bewegten, sie implizierten das Interesse an der Herrschaft im Seebund und an zahlreichen ihrer Voraussetzungen. Hier wie in der Innenpolitik ging es um ganz handfeste, greifbare Vorteile des Demos im ganzen wie relativ sehr vieler seiner Mitglieder.“ (S. 266) Das grundlegende und ungeachtet aller sozialen Gegensätze alle freien Bürger Athens einende Interesse am Macht- und Reichtumszuwachs der Polis zahlte sich mannigfach aus: „Die athenische Politik bot im 5. Jahrhundert auch vielerlei Erfüllungen: Erfolge, Beute, Landbesitz, Ansehen auch für den Kleinen Mann, Erlebnisse, den Stolz auf die Größe, die Schönheit, den Ruhm der Stadt, das Leben im Zentrum des Handels und der Politik, all den Respekt, den man als Beamter, Mitglied von Rat, Volksversammlung und Volksgericht unter Athenern und als Athener unter anderen genoss.“ (S. 252)
Frau Arendt, hören sie mich? Hören Sie mich? Ihren so hochgeschätzten redenden und handelnden freien athenischen Bürgern ging es auch um nichts Anderes als um Vorherrschaft, um Macht und um Reichtumsvermehrung und nicht um den Austausch von Kochrezepten! Wie bitte? Was mit der Gewalt sei?
Bitte sehr. Nehmen wir den 27 Jahre dauernden Peloponnesischen Krieg, den Krieg zwischen Athen und Sparta um die Vorherrschaft. In diesem Krieg wurden 31 Schlachten geschlagen, es wurde geschlachtet bei den Waffengängen von Sybota, Potidaia, Spartolos, Stratos, Naupaktos, Plataiai, Olpai, Tanagra, Pylos, Sphakteria, Korinth, Megara, Delion, Amphipolis, Mantineia, Melos, Syrakus, Milet, Syme, Eretria, Kynossema, Abydos, Kyzikos, Ephesos, Chalkedon, Byzanz, Andros, Notion, Mytilene, Arginusen, Aigospotamoi. 31-mal durften freie athenische Bürger sich auf der Agora die Köpfe über der Frage heißreden, mit welchen Gewaltmitteln und mit welchem Menschenmaterial man die Oberhand über den Feind bekommt. 31-mal ging es um die Frage, wie man die militärische und auch ökonomische Potenz des Feindes schwächt beziehungsweise vernichtet. 31-mal wurde das Töten und auch Sich-Töten-Lassen angeordnet. Fürwahr ein großer Glücksfall der Geschichte.
Der größte Glücksfall im Peloponnesischen Krieg aber widerfuhr den bedauernswerten Bewohnern der Insel Melos, die heute Milos heißt.
Im Jahre 416 v. Chr. landete unter Führung der Feldherren Kleomedes und Teisias eine athenische Flotte mit 38 Schiffen, 2700 Hopliten, 300 Schützen und 20 Berittenen auf Melos, das als einzige der Kykladeninseln – es handelte sich um eine Kolonie Spartas – noch nicht dem von Athen dominierten Attischen Bund beigetreten war. Eine Delegation wurde in die Stadt geschickt, um die Melier zur freiwilligen Unterwerfung aufzufordern. Es kam zu dem berühmten, von dem griechischen Geschichtsschreiber Thukydides in seinem Werk über den Peloponnesischen Krieg sinngemäß aufgezeichneten „Melierdialog“, in dem die Melier von den Athenern ohne Umschweife vor die Alternative „Freiwillige Unterwerfung oder Vernichtung“ gestellt wurden und überdies in Sachen Macht und Gewalt eine kostenlose Nachhilfestunde bekamen. Sie wurden darauf hingewiesen, „dass Recht im menschlichen Verkehr nur bei gleichem Kräfteverhältnis zur Geltung kommt, die Stärkeren aber alles in ihrer Macht Stehende durchsetzen und die Schwachen sich fügen.“ (Thukydides: Der Peloponnesische Krieg – Auswahl, Reclams Universal.Bibliothek Nr. 18330, Stuttgart 2005, S.57) Auf die Einlassung, dass ihnen die Götter in ihrem gerechten Kampf schon zur Seite stehen würden, bekamen die Melier zu hören: „Wir glauben nämlich, dass der Gott wahrscheinlich, der Mensch ganz sicher allezeit nach dem Zwang der Natur überall dort, wo er die Macht hat, herrscht. Wir haben dieses Gesetz weder aufgestellt noch als bestehendes zuerst befolgt, als gegeben haben wir es übernommen und werden es als ewig gültiges hinterlassen; wir befolgen es in dem Bewusstsein, dass auch ihr oder andere, die dieselbe Macht wie wir errungen haben, nach demselben Grundsatz verfahren würden.“ (S. 65)
Lieber Nikolaus Schön, so ist das mit „dem Politischen“! So ging Politik, so geht Politik, so wird Politik gehen. Das mit dem „Zwang der Natur“ sei mal dahingestellt – an noch so haarsträubenden Begründungen für das eigene Machtinteresse hat es ja nie gefehlt – und die Form und der Inhalt von „Politik“ mögen sich über die Jahrtausende immer wieder gewandelt haben, aber was bis in unsere Zeit überdauert hat, ist die gnadenlose Unbedingtheit politischer Subjekte zum Erhalt und Ausbau ihrer materiellen und militärischen Macht, auch wenn es noch so viele Opfer kostet. Krieg und Frieden sind immer schon zwei gleichberechtigte Optionen von Machtgebilden gewesen, eine so schlimm wie die andere. Im Frieden werden die Gewaltmittel für den Krieg hergestellt und im Frieden wird mit dem Gebrauch dieser Gewaltmittel gedroht für den Fall, dass die Gegenseite den an sie gestellten Anforderungen nicht nachkommt. Der Krieg wiederum führt zu einem Frieden zu den Bedingungen des Siegers und zu Friedenszeiten, in denen neue und in aller Regel noch entsetzlichere Gewaltmittel als Faustpfand für zukünftige politische Händel fabriziert werden. Das ist Politik und Politik ist Machtausübung und Machtausübung ist zu allen Zeiten mit Gewaltmitteln und Gewaltanwendung verbunden. Auch Atombomben sind kalkuliert erzeugte Gewaltmittel in den Waffenarsenalen von politischen Souveränen, mit denen sich übrigens auch, wenn sie nicht eingesetzt werden, eine gewalttätige, erpresserische Wirkung erreichen lässt. Zu allen Zeiten konnten die auf dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und Technik produzierbaren Gewaltmittel gar nicht gewaltig genug sein! All das ist nur möglich, weil fast alle Menschen sich mit „ihrem“ Machtgebilde – sei es Polis, sei es Imperium, sei es moderner Nationalstaat oder sonstwas – identifizieren und in seinem Erfolg ihre größte Befriedigung finden, auch wenn sie vielleicht nur noch mit einem Bein nach Hause kommen. Zur Zeit suhlt sich Deutschland in seinem ökonomischen Erfolg und seinem ausgeglichenen Haushalt, während, wie ich jüngst in der Süddeutschen Zeitung vom 25. Mai gelesen habe, heute weltweit 75 Millionen Menschen in Notlagern leben und fast eine Milliarde in improvisierten Elendsvierteln! Dass der Hochstand der einen Waagschale hie mit dem Tiefstand der anderen dort unmittelbar zu tun hat, ist eine Tatsache, die in unzähligen Publikationen zweifelsfrei erklärt worden ist, und was passiert? Nichts! Manche bedauern die Not auf der Welt, die meisten zucken die Schultern, viele sagen, die Armen hätten es nicht besser verdient und lägen „uns“ sogar auf der Tasche. Aber egal wie die Äußerungen auch ausfallen – Deutschland muss sein, der Kapitalismus muss sein, die Macht muss mit uns sein, und wenn es gar nicht anders geht, muss halt Gewalt angewendet werden! Wenn wir das nicht selbst machen können, dann richten es schon die USA! Der politische Mensch – ein unwahrscheinlicher Glücksfall in der Geschichte dieses Planeten!
Ja, Frau Arendt? Sie wollen wissen, wie es mit den Meliern weitergegangen ist? Gut, ich sag´s Ihnen: Die Melier wollten ihre 700 Jahre bestehende Freiheit nicht aufgeben, wurden prompt belagert und mussten sich nach einigem Hin und Her, unter anderem dem später sprichwörtlich gewordenen „melischen Hunger“ im Belagerungswinter 416 / 415, auf Gnade und Ungnade ergeben. Tja, was nun tun mit den überlebenden Meliern? Ein klarer Fall für Ihre freien athenischen Bürger, Frau Arendt! Sie kamen zu einer Volksversammlung zusammen und beschlossen, wie es bei Thukydides nachzulesen ist, auf Antrag des Alkibiades kurzen Prozess zu machen: „Die Athener richteten alle erwachsenen Melier hin, so weit sie in ihre Hand fielen, die Frauen und Kinder verkauften sie in die Sklaverei.“ (Thukydides: Der Peloponnesische Krieg, Düsseldorf – Zürich 2002, S. 370)
Sie konnten es nicht wissen, Frau Arendt, aber ihre so freiheitlich gesinnten athenischen Männer, denen sie unterstellten, „auf der Tatsache der Pluralität der Menschen“ und beseelt vom „Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen“ Politik zu betreiben, „deren Sinn Freiheit ist“ – diese Männer waren Vorläufer von solch herrlichen möchtegernmächtigen und mörderischen Gruppierungen unserer Tage wie „Boko Haram“ und „Islamischer Staat“! Bitte, Frau Arendt, denken Sie noch einmal über Ihren Politikbegriff nach! Sie haben ja schon einen Satz geschrieben, der genial wäre, wenn man das Wort „überhaupt“ gegen das Wörtchen „nicht“ austauschen würde. Er lautet: „Die Gefahr ist, dass das Politische überhaupt aus der Welt verschwindet.“ (S. 13)
Ja, lieber Nikolaus Schön, ich verschwinde jetzt langsam auch, und zwar aus diesem Blogbeitrag, der diesmal etwas länger geworden ist als drei Sätze und viel länger als ein Gezwitscher, womit ich nichts gegen die kurze Form gesagt haben will, da man auch dort Stilsicherheit und Meisterschaft entwickeln kann. Ich hoffe, Sie verstehen jetzt, warum ich mich weigere, mich unter Berufung auf Hannah Arendt oder wen auch immer als politischen Menschen bezeichnen zu lassen. Es reicht mir ja schon, wenn ich mich mit dem, was Politik anrichtet, herumschlagen muss. Das ist auch der Grund, warum ich nicht, wie Sie vermuten, mit meinen Texten und meinem Auftreten „Wirkung erzeugen“ will. Wirkungstreffer überlasse ich den Profiboxern. Der weltweite Auf- und Ausbruch aus allen Macht- und Gewaltverhältnissen wird sein wie das massenhafte Sprießen von Pilzen in milden und feuchten Herbstnächten, oder er wird nicht sein.
Ihren Vorschlag, am Ende meiner vokalakrobatischen Lesung am 14. Juni bei „Literatur im Stianghaus“ eine Überleitung zu bieten zu den beiden letzten Veranstaltungstagen, an denen es um das Buch „Hoffnung im Gepäck“ und um Fluchtgeschichten von in München gestrandeten Menschen geht, werde ich gerne in die Tat umsetzen.
Einen herzlichen Gruß an Sie und an alle Leser dieses Blogs!
Reinhard Ammer
PS: Als Vorgeschmack auf meine Lesung hier noch eine Textpassage aus meinem E-Werk „Elfenfeld“:
Gemessen begeht der Gelbe den Weg des ewgen Gesetzes. Rechts neben dem der Erde engstgelegenen Sternennebel, dem Leberfleck des Weltenzeltes, steht er jetzt, neben dem bestechend gedrechselten Septemberemblem der Pferdesterne. Ernst begelbt er Melks Kremser Weg, der den „Kernfresser“, des Fleckens elendeste Schenke, beherbergt. Rechts neben der Schwelle pendeln Melks verspeckt-verfettetste Metzgergesellen, Peter Krebs nebst Herbert Empfenzeder, welche jede Menge Welser Edelhelles erbrechen. Es geht den Kerlen recht schlecht. Der erste nennt den elften Becher den schlechtesten, der hebfestere Erzspezl den sechzehnten. Respekt! Schwer benebelt rechnet Krebs Empfenzeder her, wenn der sechzehntbeste Zecher der Welt den elftbesten treffe, bechere eben jeder mehr denn je! Neben dem Erkerfenster der Schwemme stehen jetzt blendend helle Lettern …
Kleiner Vorgeschmack auf die Lesung am 14.6. im Stianghaus:
https://www.literatur-im-stianghaus.de/fesselnde-texte-drechseln/
Lieber Nikolaus Schön,
ich möchte noch einige Gedanken zum Thema „Politik“ nachtragen.
Die Erklärungen, was Politik denn nun recht eigentlich sei, lassen sich grosso modo in zwei Gruppen einteilen: Viele Denker versuchen, Politik, wie sie sich tatsächlich ereignet hat und Tag für Tag ereignet, zu verstehen und auf den Begriff zu bringen, andere dagegen formulieren eine Wunschvorstellung von Politik, um prompt Diskrepanzen zwischen ihrem Ideal und der ernüchternden Realität festzustellen. Für so manche(n) ist dies der Auftakt für ein lebenslanges und naturgemäß vergebliches Ringen um die Angleichung der Realität an das hehre Ideal. Hannah Arendt gehört sicher in die zweite Kategorie, und dort, wo sie ihr Politik-Ideal an einem „Glücksfall der Geschichte“, nämlich der antiken athenischen Polis mit ihren angeblich „auf der Tatsache der Pluralität der Menschen“ und beseelt vom „Zusammen- und Miteinander-Sein der Verschiedenen“ Politik treibenden Bürgern leibhaftig zu verifizieren gedachte, hat sie sich, wie ich in meinem Beitrag vom 29. Mai aufgezeigt habe, gewaltig in die Scheiße geritten.
Von unverblümten Parteigängern der Macht kann man in aller Regel mehr über das Wesen der Politik lernen als von idealistischen Friede-Freude-Eierkuchen-Welt-und-Politik-Verbesserererern. Man lese Macchiavelli. Man lese Carl Schmidt. Aber ob links oder rechts, ob solche oder sone, ob mit oder ohne Idealisierungs-Brille – es gibt einige Axiome, die von keinem dieser Politik-Theoretiker in Frage gestellt werden. Für diejenigen, die auf die Demokratie nichts, aber auf andere Staatsformen einiges, wenn nicht alles kommen lassen und das Ideal einer ausschließlich von demokratischen Staaten besiedelten Welt haben, tue ich mal so, als gäbe es hienieden nur ebensolche, um Vorhaltungen zu vermeiden, es wäre doch sicher um alles besser bestellt, wenn es hienieden eben nur solche gäbe:
Erstes Axiom: Die Welt ist in demokratische Staaten aufgeteilt.
Zweites Axiom: Jeder Mensch ist „Angehöriger“ eines dieser demokratischen Staaten.
Drittes Axiom: Jeder demokratische Staat erweitert auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise und mit allfälligen politischen Maßnahmen und Entscheidungen auf den Gebieten Arbeitsmarktpolitik, Außenpolitik, Auswärtige Kulturpolitik, Baupolitik, Bildungspolitik, Energiepolitik, Entwicklungspolitik, Familienpolitik, Finanzpolitik, Forschungspolitik, Gesundheitspolitik, Innenpolitik, Internationale Politik, Landwirtschaftspolitik, Kulturpolitik, Medienpolitik, Rechtspolitik, Schulpolitik, Sozialpolitik, Sportpolitik, Sprachpolitik, Steuerpolitik, Technologiepolitik, Umweltpolitik, Verkehrspolitik, Verteidigungspolitik, Wirtschaftspolitik und Wissenschaftspolitik seine finanzielle, politische und militärische Potenz sprich Macht.
Viertes Axiom: Jeder demokratische Staat erlaubt seinen Staatsbürgern, nach Maßgabe der Mittel, über die sie verfügen, Geld zu verdienen und reich zu werden oder arm zu bleiben oder irgendwo dazwischen zu landen.
Fünftes Axiom: Jeder demokratische Staat schöpft per Steuereinzug einen Teil des von seiner Gesellschaft auf der Basis der im dritten und vierten Axiom genannten politischen und sozioökonomischen Strukturen geschaffenen Reichtums ab, um ihn wiederum für die Konsolidierung und Erweiterung seiner finanziellen, politischen und militärischen Macht einzusetzen.
Sechstes Axiom: Jeder demokratische Staat sorgt mit Recht und Gesetz sowie Androhung von Gewalt und Ausübung von Gewalt dafür, dass die von ihm mit Recht und Gesetz eingerichteten und verwalteten politischen und sozioökonomischen Verhältnisse im Inneren stabil bleiben und er selbst über das Gewaltmonopol verfügt.
Siebtes Axiom: Jeder demokratische Staat befindet sich aktuell oder potenziell in ökonomischen oder politischen Interessenskonflikten mit allen anderen demokratischen Staaten.
Achtes Axiom: Jeder demokratische Staat bereitet sich auf Konflikte mit anderen demokratischen Staaten vor und stattet sich deshalb mit Gewaltmitteln aus, die in Friedenszeiten Druck- und Drohmittel sind und in Kriegszeiten Kampfmittel, weshalb sie, wenn es irgend geht, eine höhere Vernichtungsfähigkeit haben als diejenigen der Gegner.
Neuntes Axiom: Jeder demokratische Staat gewinnt die Mittel für die Herstellung seiner Gewaltmittel per Steuererhebung oder im Fall des Falles per direktem Zugriff aus seiner Gesellschaft.
Zehntes Axiom: Jeder demokratische Staat darf im Kriegsfall töten und seine darauf spezialisierten Bürger zum Töten verpflichten, auch um den Preis, dass diese selbst getötet werden.
Elftes Axiom: Jeder demokratische Staat lässt in regelmäßigen Abständen von seinem Staatsvolk direkt oder indirekt eine Regierung wählen, wodurch auf eine ganz grundsätzliche Weise und unabhängig davon, ob eine Stimme für eine sozialdemokratische oder liberale oder neofaschistische Partei abgegeben oder gar nicht gewählt wird, das grundsätzliche Einverständnis der Staatsbürger mit ihrem Staat zelebriert wird, womit andererseits auch klargestellt ist, dass die Grundlagen des demokratischen Staates nie und nimmer zur Disposition stehen.
Zwölftes Axiom: Jeder demokratische Staat kann im Fall eines wie auch immer begründeten Notstands die demokratischen Grundrechte suspendieren.
Wie gesagt, diese zwölf Axiome werden von jedermann und jederfrau – von Politikern und Politologen, von Staats- und Kleinbürgern, von Reich und Arm – als so naturgegeben hingenommen wie Nahrungsaufnahme und Stuhlgang. Naja, nicht ganz. Es gab und gibt wahrhaft unverbesserliche Idealisten, die sich eine Staatenwelt – die allerdings muss sein! – ohne alle Waffen vorstellen können. Parole: „Macht Schwerter zu Pflugscharen!“ So mancher ging früher mit dieser Parole auf die Straße, um nach einiger Zeit zur Durchsetzung dieses Ansinnens mit Gesinnungsgenossen eine politische Partei zu gründen und prompt in Parlamente zu gelangen, wo man umgehend alle Politikfelder besetzen musste und auch wollte, darunter die „Verteidigungspolitik“, um politisch komplett zu sein und weil man wohl ziemlich bald einsah, dass ein Land wie Deutschland für die Durchsetzung seiner weltweiten ökonomischen und politischen Interessen und ganz allgemein für die Demonstration seiner Macht nicht auf einen Militärapparat verzichten kann. Inzwischen sind diese Pflugscharfreunde beim Unterpflügen ihrer vormaligen Denkweise so weit gekommen, dass sie die gute Nachricht, dass Transportflugzeuge und Gewehre der Bundeswehr nicht optimal einsatzfähig sind, zu einer schlechten umschmieden und sich nicht entblöden, die Verschleuderung von Steuergeldern zu beklagen! Natürlich ließen sich Panzer, Haubitzen und all das andere Mordgerät zu nützlichen Dingen umschmelzen, aber doch nur dann, wenn man Staaten und Nationen abschaffen würde! Doch nur dann, wenn man keine Politik machen würde! Doch nur dann, wenn das Grundgesetz alles Wirtschaftens nicht die kapitalistische Reichtumsvermehrung, nicht die totalitär alle Hindernisse zur Seite rammende oder gleich in Grund und Boden stampfende Verwertung des Werts wäre!
Und weil es grad so schön ist, liebe Freunde eines demokratischen Deutschlands: Wer das staatlich-nationale Gebilde Deutschland prinzipiell als notwendig und unantastbar anerkennt, steht auf einer gemeinsamen Grundlage mit allen anderen politischen Kräften, die sich ebenfalls positiv auf Deutschland beziehen, auch jenen, die die politische Ausgestaltung der Demokratie etwas herber definieren. Wie schnell ein halbes Staatsvolk – ganz demokratisch – die Farbe wechseln kann, hat man gerade in Österreich gesehen, und das geht halt nur deshalb, weil es überhaupt das Staatsgebilde „Österreich“ und weil es überhaupt ein österreichisches Staatsvolk gibt! Es kann also in Österreich nicht darum gehen, jetzt erst recht sozialdemokratisch oder was weiß ich zu wählen, sondern einzig und allein darum, dem österreichischen Staat und dem österreichischen Staatsvolk seine Zustimmung zu entziehen. Genauso Deutschland und seinem Staatsvolk. Genauso Frankreich und seinem Staatsvolk. Genauso Russland und seinem Staatsvolk. Genauso China und seinem Staatsvolk. Genauso Großbritannien und seinem Staatsvolk. Genauso Japan und seinem Staatsvolk. Genauso den Vereinigten Staaten von Amerika und ihrem Staatsvolk. Genauso Dänemark und seinem Staatsvolk. Genauso Argentinien und seinem Staatsvolk. Genauso Israel und seinem Staatsvolk. Genauso Ägypten und seinem Staatsvolk. Genauso Südafrika und seinem Staatsvolk … Der Weg von einer demokratischen Demokratie hin zu einer diktatorischen Demokratie ist, wie die Geschichte immer wieder gezeigt hat, kurz. Er ist so kurz wie der Weg von der Wahlkabine zur Wahlurne.
Es ist eine so leichte wie billige Übung, sich über die Generation unserer Altvorderen zu ereifern, weil sie die Nationalsozialisten an die Macht gebracht haben! Leider kann man nicht nachprüfen, ob die heutigen Superdemokraten, wenn sie damals in der Weimarer Republik gelebt hätten, nicht auch diesen Weg gegangen wären. Ich vermute, dass die meisten aus ihrem fundamentalen Deutschlandeinverständnis heraus heil Hitler! Was man aber nachprüfen kann, ist, welche Schweinereien demokratische Staatsbürger heutzutage wissen und wissen können, ohne gegen die Ursachen vorzugehen. Hier eine kleine Hitparade des volksherrschaftlichen Konformismus:
– Demokratische Staatsbürger fordern, den IS zu vernichten, weil er Menschen tötet, aber sie fordern nicht, die USA zu vernichten, obwohl diese mit Marschflugkörpern und Drohnen aus heiterem Himmel Menschen töten.
– Demokratische Staatsbürger wissen, dass Menschen Geld brauchen, um leben zu können. Sie wissen, dass sie arbeiten müssen, um Geld zu bekommen. Sie wissen, dass viele Menschen keine Arbeit haben und folglich kein Geld. Sie wissen, dass eine Milliarde Menschen in Elendsvierteln leben, weil sie keine Arbeit und kein Geld haben. Sie wissen, dass jeden Tag viele Menschen verhungern, weil sie keine Arbeit und kein Geld haben. Aber sie wenden sich nicht vom Leben-gegen-Arbeit-gegen-Geld-System ab.
– Demokratische Staatsbürger freuen sich über jedes Schnäppchen beim Einkaufen. Sie wissen, dass billige Produkte ihren Preis haben. Fürchterliche Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung. Aber ein Schnäppchen ist ein Schnäppchen.
– Demokratische Staatsbürger wissen, dass in den arabischen Scheichtümern Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt und Andersdenkende terrorisiert, verletzt oder umgebracht werden. Aber sie nehmen es hin, dass ihr Staat mit diesen abartigen Machtgebilden Geschäfte macht und ihnen Waffen liefert.
– Demokratische Staatsbürger wissen, dass der Tag für jeden Menschen 24 Stunden währt und man demzufolge nicht länger als 24 Stunden täglich arbeiten kann. Sie wissen auch, dass es Menschen gibt, die in diesen 24 Stunden 10-mal, 100-mal, 1000-mal mehr Geld verdienen als andere, die in dieser Zeit möglicherweise sogar härter und gesundheitsschädigender arbeiten als jene. Aber sie wenden sich nicht von einem staatlicherseits abgesicherten Wirtschaftssystem ab, in dem die Arbeitskraft eine Ware ist und mal so mal so bewertet wird.
– Demokratische Staatsbürger wissen von den entsetzlichen Lebens-, besser Sterbebedingungen für Abermillionen Kühe, Schweine und Hühner in der industrialisierten und profitschindenden Lebensmittelindustrie. Aber sie nehmen es hin, dass der demokratische Staat im Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, von der auch er profitiert, diese Verhältnisse absegnet.
– Demokratische Staatsbürger wissen, dass der totale Überwachungsstaat keine Fiktion mehr ist, sondern aufgrund absehbarer technischer Entwicklungen zur politischen Option werden wird. Und wenn, die Geschichte zeigt es überdeutlich, technische „Fortschritte“ einen ökonomischen oder politischen Vorteil bringen, dann wird von ihnen Gebrauch gemacht. Punktum. Demokratische Staatsbürger werden auch diese Kröte schlucken, genauso wie sie die Atombombe und die Notstandsgesetze und die Wiederaufrüstung nach dem Krieg und die Absenkung des Rentenniveaus und all die anderen Politik-Unken und -Frösche und -Lurche und -Olme hinuntergewürgt haben. Maulen mögen sie ja, doch irre werden am Gesamtsystem von Staat, Nation und Kapitalismus? Ne! Nenene!!!
Genug. Jeder möge selbst die Liste fortsetzen. Ein Blick in die Tageszeitung genügt. Ich finde es jedenfalls erbärmlich, wie viele Zeitgenossen sich mit der in ihrem demokratischen Staat herrschenden Meinungsfreiheit brüsten und wie wenig dabei in punkto Setzung von Fragezeichen hinter die gusseisernen axiomatischen Grundpfeiler, auf deren verpflichtender Grundlage der Staat seinen Bürgern ihre Meinungsäußerungen erlaubt, herauskommt. Der demokratische Staatsbürger unserer Tage ist der fleischgewordene Wunschbürger der Staats- und Bildungspolitiker der sechziger und siebziger Jahre, die zu dem Schluss gekommen waren, dass man mit dem autoritätshörigen und irgendwie unselbständigen Volksgenossen von anno 33 und auch noch der fünfziger Jahre zukünftig keinen Blumentopf mehr werde gewinnen können. Kreativ, selbständig, dynamisch und auch mal kritikfähig sollte der dem Neuen Deutschland auf die Sprünge helfende futuristische Mensch sein. Jürgen Habermas war mit seiner Theorie der kommunikativen Kompetenz der Vordenker für diesen neuartigen homo politicus. Maul aufreißen, Brust raus und die Rahmenbedingungen des Großen Ganzen anerkennen. Aus freien Stücken mitmachen und Staat und Ökonomie und Kultur modernisieren – das war das Ideal und so ist es auch gekommen. Riecht alles nach Schmierseife.
So, da bin ich wieder. War gerade ein paar Minuten auf dem Hometrainer. Nur sitzen und einen Text reinhacken ist schlecht für Beine und Pumpe. Hab auf meinem Bock Nachrichten gehört. Bayern 5. Novak Djokovic hat in Paris das erste Mal die French Open gewonnen und dafür 2 Millionen eingesteckt. Tja. Jeder ist eben seines Glückes Schmied. Liebe Altenpflegerin, die Du in der Zeit, die der French-Open-Triumphator gebraucht hat, um seinen Rivalen um die Tennis-Krone niederzusmashen und kleinzuslicen, vielleicht drei Ärsche ausgewischt hast und dafür den Bruchteil eines Bruchteils der zwei Gewinner-Mille einsàckeln darfst, sei nicht traurig! Leistungssport ist ein anerkannt wichtiger Bestandteil unserer global vereinheitlichten Hochkultur, und Leistung muss sich doch lohnen, oder? Arschauswischen aber ist kein Leistungssport, sondern stinknormale Arbeit, und da verdient man man halt nichts Anderes als das, was man mit solchen … äh … Tätigkeiten verdient. Muttu schon einsehen. Dieser Djokovic ist ja andererseits auch irgendwie eine arme Sau, nicht wahr? Es gibt nämlich gut betuchte Leute, man nennt sie Milliardäre oder sogar Multimilliardäre, mein Täubchen, und von denen gibt´s heutzutage gar nicht mal so wenige, die sich mit dem Papier, auf dem diese zwei Mio´s stehen, zur Abwechslung schon mal gerne den Arsch auswischen oder vielleicht sogar von einem billigen, willigen Polen- oder Inder-Mädl auswischen lassen, wer weiß? Jetzt kannst Du mal rechnen! Wenn sich ein zwiefacher Milliardär, um seinem Stolz auf den eigenhändig und eigenständig erwirtschafteten Reichtum ein nur allzu berechtigtes Betätigungs- und Bestätigungsfeld zu verschaffen, seinen Arsch genußvoll mit einer Geldanweisung über zwei Millionen auswischen lässt und die Arschauswischerin mit einer großzügigen Arschauswisch-Vergütung von sagen wir mal scheißhundertscheißundscheißig Euro auf quasi-royal kirre machende Art zuscheißt, wieviel Prozent von seinem gesamten Scheißtum hat er da verschissen? Siehst Du, auch so ein Milliardär hat seine Sorgen, mit der Buchhaltung nämlich! (* siehe die Fußnote unten) Jedenfalls, mit solchen fucking Summen kann doch dieser dahergelaufene Tschockowitsch auch nicht im Entferntesten mithalten, ist das nicht tröstlich? Neinnein, Schuster, bleib bei deinen Leisten, auch mit 1500 Möpsen im Monat weiß man doch, was man hat. Das ist wenigstens noch übersichtlich. Außerdem, und jetzt halt die Klappe, ist das doch alles mit erzdemokratisch rechten Mitteln zugegangen, klar?
Schluss mit lustig, Schluss für heute! Ich möchte nochmal auf meine im Rahmen des im Rahmen der vom Kulturreferat der Stadt München vom 10. – 16. Juni veranstalteten „Stadtteilwoche Ludwigsvorstadt / Isarvorstadt“ ebenfalls vom 10. – 16. Juni dauernden Festivals „Literatur im Stianghaus“ am 14. Juni ab 21 Uhr 30 in der Zenettistraße 2 stattfinden und mit mit jeweils nur einem einzigen Vokal geschriebenen Texten gespickt sein werdende Lesung hinweisen, indem ich Ihnen, lieber Nikolaus Schön, und allen geneigten Lesern dieses Blogs, von denen mich für heute mit diesen Worten in aller Freundschaft zu verabschieden ich mich untertänigst beehre, ergebenst eine kleine Kostprobe aus meiner einzig und allein mit dem superschönen Vokal „a“ und unter bedenkenloser Verspritzung von allerhand Hirnsaft und Herzblut geschriebenen und auch auf besagter Veranstaltung, nach deren Ende übrigens im Außenbereich vor dem Treppenhaus ein von dem französischen Animationskünstler Karim Dabbeche erstellter und den wesentlichen Inhalt der „KulturRaum“-Vereinstätigkeit in 15 Sekunden darstellender und den Besuchern meiner Lesung wärmstens ans treue Herz zu legender „Loop“ zu sehen sein wird, aus dem Munde des Autors zu vernehmenden Kurzgeschichte „Als Staatsanwalt Klaas Maas das Jagdglas nahm“ hierhersetze:
Damals, als man – abrakadabra! – Schlaf samt Sandmann als abschaffbar abtat, da traf man nachts am Stadtbad Ansbachs Hasch-Klan, das war mal Spaß mal Balz mal Nahkampf, dann schwamm man nackt das Bad baff, mal als Alpha-Wal, mal als Wal-Vasall, mal als Planschnarr, dann sprang man patschnass an Land, trank krank nach Labsal Grappa samt Marsala, danach saß man Arm an Arm, Arsch an Arsch das Gras flach, alsdann tat Nacktpaar nach Nacktpaar startklar das, was man halt macht, falls man grad mal Schamhaar anhat.
* Fußnote: Wie sich doch der Riese Gargantua in dem vom französischen Dichter François Rabelais (1494 – 1553) ersonnenen und von Gottlob Regis kongenial eingedeutschten Roman „Gargantua und Pantagruel“ von der heutigen Denk- und Gefühlswelt unterschieden hat, als er die Frage, was denn nun der beste Arschwisch sei, nach langem Hin und Her und mannigfachen Versuchen unter anderem mit einem Pagenbarett, einer Märzkatz und Lattichblättern, die ihm aber nach eigener Aussage doch immer wieder nur „das ganze Perinäum verschwulsteten“ (Zweitausendeins, Frankfurt / Main, ohne Jahresangabe, S. 41), mit der endgültigen Auskunft beschied: „Sag aber schließlich und bleib dabei: es geht kein Arßwisch in der Welt über ein wohl gepflaumet junges Gänslein, so man ihm den Kopf sanft zwischen die Bein hält; dieses glaubt mir auf meine Ehr; denn ihr verspürt am Arßloch eine unglaubliche Wollust, teils von der Sänft des Pflaumes, teils von der temperierten Wärm des Gänsleins, welche leicht zum Arßdarm und den übrigen Därmen schlägt, ja bis in die Gegend des Herzens und Gehirns aufsteigt.“ (ebenda, S. 44) Meiner Treu, Rabelais und seine Romanfigur Gargantua konnten ja am Ausgang des finsteren Mittelalters nicht ahnen, dass es 500 Jahre später in der lichten und hochglanzprospektartig bella figura machenden Neuzeit reiche Ärsche geben würde, die mit einem „wohl gepflaumet jungen Gänslein“ zu traktieren einer Majestätsbeleidigung gleichkäme! Nein, ein reicher Arsch des 20. und 21. Jahrhunderts wird, wenn er etwas sucht, was er sich sanft zwischen die Beine halten oder halten lassen kann, nicht in der schnöden Welt der Dinge fündig werden, das höchste der Gefühle kann für ihn nur der abstrakte Reichtum in Form des Geldes sein. Ich will nicht abstreiten, dass auch er am Arßloch eine unglaubliche Wollust verspüren mag, so dort ein millionenwerter Geldwisch angelegt wird, aber sie wird nicht von der Sänft eines Pflaumes und der temperierten Wärm eines Gänsleins herrühren, sondern von dem eh und je schon herz- und hirnerwärmenden Wissen, dass man, weil man stinkreich ist, nicht nur Menschen wie die Puppen tanzen lassen, sondern auch, wann einem darnach ist, auf sie und die ganze Welt gleich noch dazu – scheißen kann!
Kleiner Video-Abschlussbericht von unserem Medienpartner afk tv – Fernsehmacher von morgen über das „Literatur im Stianghaus“ Festival und dem ungewöhnlichen Veranstaltungsort.
#Stianghaus: https://www.youtube.com/watch?v=gdF1ILPldq0
Dazu ein „fesches“ Porträt des Festivalautors REINHARD AMMER, der am letzten Dienstagabend zu hören war.
Reinhard Ammer: https://www.youtube.com/watch?v=Z-NH10ZKZ4M